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Fühlst du dich erwachsen?

  • Autorenbild: Michelle Fischer
    Michelle Fischer
  • 2. Mai
  • 2 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 22. Mai


Mein Telefon vibriert. 'Hey Liebes, wann soll ich am Freitag vorbeikommen?', steht da in der Nachrichtenvorschau auf meinem Bildschirm. Es ist meine Mama.


Ich muss lächeln. Es ist süss, dass sie extra hierherfährt. Anderthalb Stunden Fahrt nimmt sie in Kauf. Und das pro Weg. Drei Stunden Fahrt insgesamt, nur, damit sie ihre Tochter für ein paar Stunden an ihrem Geburtstag sehen kann.


Ihre Tochter, die eigentlich schon erwachsen ist. Die am Freitag achtundzwanzig Jahre alt wird.


Achtundzwanzig.


Die Zahl scheint enorm. Viel zu gross für mein kleines Ich.


Ich fühle mich überhaupt nicht, wie achtundzwanzig klingt.


Vielleicht liegt das daran, dass ich immer diese Erwartungen an Achtundzwanzig hatte. Dieselben, die andere Menschen an Dreissig oder Vierzig oder vielleicht Fünfundzwanzig haben. Eine gewisse Vorstellung davon, wer ich sein würde, wenn ich endlich in dieses Alter hineinwachse. Was ich alles erreicht hätte.


Und ich meine jetzt gar nicht die grossen Meilensteine, von denen alle immer so gerne sprechen. Haus kaufen, heiraten, Babys machen. Diese Dinge sind für mich mehr an Lebensentscheidungen gebunden als an ein Alter.


Nein, es geht um etwas anderes.


Ich hätte erwartet, dass ich mich anders fühlen würde. Anders in meinem Körper, meine ich.


Ich hätte erwartet, dass ich sicher auf meinen Beinen stehe. Fest mit beiden Füssen auf dem Boden. Ich hätte erwartet, dass ich mit aufrechter Haltung durchs Leben gehe, das Kinn gereckt, ein Lächeln auf den Lippen. Stolz, ich zu sein.


Aber so ist das nicht. So fühlt es sich nicht an.


Mein Körper ist neunzehn, wann immer ich mit gesenktem Kopf einen Raum voller Menschen betrete.

Er ist vierzehn, wenn ich mit einer neuen Freundin im Café sitze und mich frage, ob sie wirklich hier sein möchte.

Er ist sieben, wenn ich bei Scrabble verliere und Tränen zurückhalten muss.


Ich bin ein Konstrukt alter Unsicherheiten und Ängste. Sollte 'erwachsen' nicht anders aussehen?


Ich hätte gedacht, mit achtundzwanzig wäre ich weiter. Dass ich dann erwachsen wäre. Und in dieser Vorstellung ist "erwachsen" ein Gefühl.


Das Gefühl, sicher im Leben zu stehen. Zu wissen, wo man hingeht. Zu wissen, was man will und was nicht. Sich selbst zu kennen.


Aber vielleicht gibt es dieses Gefühl gar nicht. Zumindest nicht als permanenten Zustand. Vielleicht stehen wir nie wirklich sicher im Leben. Nicht mit achtundzwanzig, nicht mit dreiundvierzig, nicht mit neunundsiebzig.


Vielleicht fühlt sich niemand wirklich erwachsen.


Ein Filmausschnitt aus dem Film "Liberal Arts" aus dem Jahr 2012. Die Untertitel im Bild lauten: "Nobody feels like an adult. It's the world's dirty secret."
Aus dem Film Liberal Arts (2012).

Vielleicht ist die Vorstellung, dass es ein gewisses Alter gibt, das uns unsere Unsicherheiten im Leben nimmt, völliger Blödsinn. Möglicherweise genau der gleiche Blödsinn, wie die Vorstellung, dass man mit Ende zwanzig ein Haus, einen Ehepartner und Kinder haben sollte.


Ich würde gerne glauben, dass es mit der Zeit einfacher wird. Dass ich, je länger ich die Welt kenne, sicherer im Leben stehe. Dass ich weniger Fehler mache und mich selbstbewusster in meinem Körper bewege.


Aber vielleicht dauert das alles etwas länger, als ich gedacht hatte. Mit achtundzwanzig bin ich auf jeden Fall noch nicht so weit. Und das ist auch ganz in Ordnung so.


Ich nehme mein Telefon in die Hände und tippe eine kurze Antwort für meine Mama. Sage ihr, sie könne jederzeit kommen. Sage ihr, dass ich mich freue, sie zu sehen.


Mit achtundzwanzig noch genauso sehr, wie früher.






 
 
 

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